KI als stiller Mentor?

In den USA geben bereits neun Prozent der Jugendlichen an, dass eine KI ihr „Freund oder bester Freund“ sei. JIM-Studie 24: „17% nutzen KI, um sich/die Gedanken zu sortieren“, bei internetmatters in GB führen „50% Gespräche wie mit einem Freund“.
Während wir in Schulen noch darüber diskutieren, wer die Hausaufgaben wirklich geschrieben hat, stellen Jugendliche längst ganz andere, tiefere, existenziellere Fragen: „Bin ich gut genug? Wohin will ich überhaupt?“

Wir reden oft über KI als Werkzeug, Suchmaschine oder Antwortgeber. Doch leiser und weitreichender passiert etwas anderes: Jugendliche fragen die Maschine nach sich selbst.
Nicht nur: „Wie löse ich Aufgabe X?“, sondern: „Wie überstehe ich das Gespräch mit meinem Ex-Freund? Was soll ich studieren? Wer will ich sein?“
Die KI wird zum stillen Mentor. Immer wach, scheinbar neutral beratend, ohne Risiko von Scham oder Bewertung. Das verändert, wie wir über (berufliche) Bildung, Orientierung und Begleitung denken müssen.

Warum Jugendliche zur KI gehen

Die Gründe sind zutiefst menschlich. Wer Unsicherheit zeigt, riskiert Wertung. Verletzlichkeit macht noch lange nicht überall stark. (Zu diesem Thema dann dieses tolle Buch.) Ein Chatbot urteilt nicht, antwortet sofort und wirkt durch sein ewig großes Sprachmodell immer souverän. Immer verständnisvoll. Und genau das trifft einen wunden Punkt. Nicht, weil KI menschlicher oder besser reagieren würde, sondern, weil sie uns zeigt, was gerade fehlt: Räume, in denen echte Fragen ohne Angst gestellt werden dürfen.
Jugendliche meiden nicht uns, sie meiden Beschämung.

Was fehlt, wenn nur noch KI unterstützt?

Wachstum entsteht nicht im Glatten, sondern in der Reibung. Wer immer nur die KI fragt, umgeht genau diese Lernmomente. Es sind doch die Zumutungen dieser Welt, die ausgehaltenen Ungewissheiten, die uns stärker machen.
Resilienz wächst dort, wo jemand Nein sagt und man trotzdem weitermacht. Stärke und Klarheit in der Kommunikation entfaltet sich im Gegenüber, der nachfragt, widerspricht oder mich irritiert. Und mich zur Überarbeitung des Gedachten und Gesagten bringt. Und zu lernen, wie man Ungewissheiten aushält, diese oft genannte Ambiguitätstoleranz, entsteht da, wo keine perfekte Antwort existiert und man sich trotzdem (gerade deswegen) positioniert und eine Entscheidung trifft.
Gerade in diesen Momenten, in denen Unsicherheit spürbar wird, formt sich etwas. Diese Momente sind so unbequem, aber sie machen uns menschlich.

Was machen wir denn jetzt?

Wenn wir jetzt handeln wollen, muss es nicht perfekt aussehen. Es ist tastend, ehrlich, ein bisschen holprig vielleicht. Wie anfangen? Ehrlich wäre, dass wir Schüler/innen zeigen, was wir Erwachsenen alles mit KI machen (erstaunlich viel, oder?) und lassen wir Schüler/innen auch zeigen, was sie mit KI ausprobiert haben. Nicht heimlich, sondern offen. Und wenn es in Beratungssituationen geht, zB in der Berufsorientierung, dann vergleiche die KI-Vorschläge mit menschlichen Ratschlägen vom Berufsberater. Wie unterscheiden Ton, Prioritäten oder Werte? Bei aller oft geäußerten Kritik an BO-Beratern, wird die menschliche Situation zusammen mit der Reflektion immer noch vorne liegen.
Wie bekommen wir dann mehr Räume für Feedback hin, die wirklich sicher sind? Orte, an denen man Fehler nicht versteckt, sondern teilt.

Als Nächstes dann auch das, was Doris Weßels u.a. für Hausaufgaben vorschlägt: Nacheinander statt Entweder-oder. Ein erster instruierender Start in der Schule, dann Austausch mit der KI, um Fragen zu sammeln, Gedanken zu sortieren. Danach dann unter, mit Menschen: Ton, Haltung, Blickkontakt, Authentizität. Das alles ist weniger glatt, aber ehrlicher. Ich glaub, wir sollten uns dringend ehrlicher machen.

Das größere Bild

Bildung ist auch Identitätsarbeit. KI kann vielleicht sortieren, strukturieren, simulieren, aber keine Haltung verleihen. Technik nutzen, ohne unsere Urteilskraft abzugeben.

KI zeigt (im Sinne des Muuß-Merholzischen Verstärkers) schonungslos, wo wir heute zu wenig Zeit, Nähe und Sicherheit bieten.
Drehen wir das um: wollen wir Offenheit, Gesprächsbereitschaft vermitteln, so dass wir in Schule „so niedrigschwellig wie im Chatfenster“ sind? Nein, das Bild fühlt sich schräg an und das ist es nicht. KI macht’s halt effizent und ewig-verfügbar. Wir sorgen für Beziehung und Sinn. Vielleicht gelingt es, wenn Schüler/innen das nächste Mal nachts eine Frage stellen, sie sich nicht stattdessen, sondern zusätzlich an uns wenden.
Dann hätten wir etwas verstanden. Über KI. Und über uns selbst.

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