Kleine Momente, lange Bedeutung

Unbemerkt, mitten im Unterricht, zwischen Tafelbild und Klassenbuch, während wir einen kurzen Satz in den Raum stellen: einen einzelnen Satz, vielleicht sogar nur eine Randbemerkung, die uns später nicht mehr bewusst ist.

Doch genau dieser Satz kann für einen Schüler oder eine Schülerin ein prägender Moment werden. Manchmal nur ein Nebensatz, ein kleines Lob, eine beiläufige Ermutigung, ein ehrlich gemeintes „Gut gelöst, das Thema scheint dich interessieren!“, das Jahre später nachhallt und im Inneren etwas zur Resonanz bringt.

Eine unscheinbare Übung

Um Lehrkräften die Bedeutung dieser Momente bewusst zu machen, führe ich gern eine Reflektionsübung durch. Oft mit jungen Referendaren, aber auch mit erfahrenen Lehrkräften oder in Schulleitungsrunden schafft diese Übung anregende Einsichten.

„Nenne deinem Sitznachbar ein oder zwei Lehrerinnen oder Lehrer, bei denen du Schüler/Schülerin warst. Erläutere, warum du gerade diese Person gewählt hast.“

Klar, bei uns als Lehrerinnen und Lehrer geht es zuvorderst um Wissen und Kompetenzen. Viel mehr sind wir auch diejenigen, die Vertrauen stiften und manchmal sind wir in einem Moment, in dem sich ein inneres Fenster öffnet, die ersten, die dem Kind oder Jugendlichen signalisieren: „Deine Ideen sind wertvoll. Du kannst mehr, als du gerade ahnst.“ Aus diesem kleinen Moment mag eine Spur werden, die bis weit ins Erwachsenenalter führt. Das Nachdenken über solche prägenden Menschen ist der Kern der Reflexionsübung.

An wie viele Lehrer/innen erinnerst du dich noch?

Von den vielen Lehrkräften unserer eigenen Schulzeit – geschätzte 40 oder 50 – bleiben uns meist nur wenige in Erinnerung. Doch diese Wenigen haben uns durch ihre Art, ein bedeutsames Gespräch oder ehrliche Anerkennung inspiriert und zum Nachdenken über uns selbst angeregt. (Bei wenigen führten diese Erlebnisse auch zu der Erkenntnis: „So soll Unterricht/Schule nicht sein – das mache ich anders.“)

Vielleicht ihre ruhige Art, ihre spannenden Anekdoten oder ihr Vertrauen in uns. Vielleicht ihre Unterstützung in schwierigen Momenten oder ihre Ermutigung, den „Mutregler“ eine Stufe höher zu stellen. In meiner Biografie waren es eine Klassenlehrerin der Mittelstufe und ein Geschichtslehrer, die solche bleibenden Spuren hinterlassen haben. Was sie wohl heute machen?

Lehrkräfte, die bleiben

Diese Erfahrungen begleiten uns, wenn wir selbst unterrichten. Wie ein leises Echo von Hatties „Know thy impact“ erinnern sie uns an unsere Wirkung – nicht täglich, aber in jenen unerwarteten Momenten, in denen unsere Worte einen Menschen ansprechen. Auch wenn solche Momente nicht erzwungen werden können, ist ihre Möglichkeit vorhanden und formt gleichzeitig unsere Identität als Lehrende.

Deshalb mag ich diese Übung, weil sie etwas bewusst macht. In dem großen Puzzle unserer Vergangenheit gibt es jene Lehrerinnen und Lehrer, die uns mit einem oder mehreren für sie vielleicht unspektakulären Momenten beeinflusst haben. Heute sind wir selbst ein Teil dieses großen Ganzen – ein kleiner, aber bedeutsamer Mosaikstein im Leben der jungen Menschen, denen wir begegnen. Die Verantwortung, die darin liegt, lässt sich kaum in Worte fassen. Und man trägt sie nicht den ganzen Alltag hindurch mit sich herum. Wohl auch, um handlungsfähig zu bleiben. Doch sie ist es auch, die unseren Beruf wertvoll macht.

Jedes Wort kann Spuren hinterlassen, jedes Lächeln eine Zukunft mitgestalten.

2 Gedanken zu „Kleine Momente, lange Bedeutung

  1. Schön gesagt! Und damit ab in die Ferien!
    Meinen ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern habe ich auch im Kopf schon seit Jahren einen Artikel gewidmet. Fertig ist er leider bis heute nicht. Es gäbe so viel zu erzählen!

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